Beck Wissen - Blickle, Peter by Der Bauernkrieg
Autor:Der Bauernkrieg [Bauernkrieg, Der]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
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Tirol, Salzburg und anderwärts auch die Bürger) die ständig
steigenden Sätze.
Nach Auskunft der Klettgauer paarte sich mit der Ausbildung
des Strafrechts die obrigkeitliche Fiskalisierung der Rechts-
pflege. Denn „wenn zwen miteinander in Unfrieden kommen,
dörfen sie nit draus kommen, ohne unser Herren Wissen und
Willen“. Gütliche, familiäre, außergerichtliche Schlichtungen
waren gar nicht mehr erlaubt, sollte das heißen. Ein Einzelfall war das nicht, die gleichen Klagen waren auch auf der Zürcher Landschaft zu hören. Die Stühlinger brachten den Reichs-
kammerrichtern zur Kenntnis, daß früher auf „Maulstraich“
(heute ähnlich bildhaft Ohrfeigen geheißen, nur die Schwaben
nennen das noch die Gösch verschlagen) eine Strafe von drei oder fünf Schilling stand, jetzt sei daraus ein großer Frevel gemacht worden, der von den Vögten und Oberamtleuten
festgesetzt und eingezogen würde. Zuvor waren Unteramtleu-
te, Schultheißen und Ortsvögte einzugsberechtigt gewesen, die
Strafgebühren blieben im Dorf, konnten also für dessen Be-
lange verwendet werden, wurden aber gelegentlich bei Dorf-
festen auch „durch die Gurgel gejagt“, wie aufmerksame Poli-
zeitheoretiker noch Ende des Jahrhunderts beobachteten.
Wo immer Zahlen vorliegen, sind die Steigerungen spürbar,
gelegentlich sind sie unverschämt. „So einer den andern blut-
rissig macht, ist an ettlichen Orten acht Pfund, war vor nit
mehr denn drei Pfund“, das war spürbar. „Wenn zwei Weiber
mit einander freveln, verfallend drei Pfund, war vor achtzehnt Heller“; was die Klettgauer hier registrieren, war unverschämt. Die Fiskalisierung der Strafrechtspflege war auch dem
Verfahren geschuldet. Derjenige, der die Bußen verhängte und
die Strafgebühren einzog, in der Regel der Vorsitzende des
Gerichts, wurde nicht nur daraus bezahlt, sondern daran pro-
zentual beteiligt. Richter sollen an den Strafgeldern „kain Interesse oder Genieß haben“, war die einhellige Meinung der
bäuerlichen Landgerichte und bürgerlichen Stadtgerichte in
der Grafschaft Tirol, sondern auf feste Besoldung gesetzt
werden, „damit wird verhuet die unpillichen Pönen und der
Eigennutz“.
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Im Strafrecht waren die Übergänge von Geld- zu Körper-
strafen fließend; was aus archaischen Zeiten hervorgekramt
wurde, um die eigenen herrschaftlichen Interessen durchzuset-
zen, läßt sich schwer abschätzen. Die Stühlinger meinten, das
Jagdverbot der Herrschaft, das im allgemeinen eine verhee-
rende Verwüstung der landwirtschaftlichen Kulturen zur Fol-
ge hatte, widerspreche „göttlichen und rechtlichen Gesetzen“.
Ja, würde man heute sagen, angesichts der Strafe – „so einer
das Gebot übertritt und ergriffen wurt, so sticht man ime die
Augen aus“.
Hinsichtlich des Verfahrens vor Gericht spaltete sich um 1500 die Gesellschaft in zwei Lager. Herkömmlicherweise
wurde Recht im Gericht gefunden, gewiesen, geöffnet (oder wie sonst die Dialekte sagen), also durch Verfahren im Beisein von Klägern und Beklagten entschieden, und zwar auf dem
Land wie in der Stadt durch Urteiler (Schöffen würde man sie heute nennen), die Laien waren, also nach Herkommen, Erfahrung und Vernunft urteilten. Und nach Gewissen – schließ-
lich waren sie vereidigt. Die Ochsenhauser Bauern waren
nicht allein, überall anderwärts wollte man bei diesem Ver-
fahren bleiben. In den Worten der Stühlinger floß das in den
Artikel, „uns bi unsern Gerichten, darunter wir geseßen, plei-
ben zu laßen und on Erkanntnus des Gerichts in kein Weis zu
strafen“. Das habe für zivilgerichtliche und kriminalgerichtliche Fälle gleichermaßen zu gelten. Unkenntnis des lokalen
Rechts und der individuellen Umstände führe zu ungerechten
Urteilen, ja solchen von schierer Willkür. Der Auffassung wa-
ren die Eidgenossen schon zwei Jahrhunderte zuvor gewesen
und hatten, weil sich das Problem mit den Habsburgern nicht
lösen ließ, den republikanischen Weg in die Moderne gewählt.
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